BH-frei leben, diese Vorstellung erschien mir lange Zeit absurd. Heute bin ich froh, den Schritt gegangen zu sein. Warum dieses kleine Stück Stoff (für mich) eine große Sache ist, möchte ich heute mit dir teilen.

Die Entscheidung einen BH zu tragen, kam nicht von mir. Eine Art kollektives, weibliches Bewusstsein, aus Nachbarinnen, Mitschülerinnen und Tanten, hatte beschlossen, dass es “nun für mich an der Zeit ist”. Ich war 14 und ich hatte echt keinen Bock. 

Mein erster BH kam mir vor, wie ein Alien 

Fremdartig und latent bedrohlich. Aber da musste ich wohl durch. Der erste Trageversuch war furchtbar! Ich habe wochenlang zuhause üben müssen, bis ich das Teil für mehrere Stunden am Stück tragen konnte. Es zwickte und zwackte und war einfach unbequem. Als Optimiererin, die ich nunmal bin, konnte ich das natürlich nicht auf mir sitzen lassen.

Ich wurde zur BH-Expertin

Also tat ich, was ich immer tue, wenn ich mit einer Situation unzufrieden bin. Ich ging in den Schwamm-Modus und saugte alles an Informationen ein, was ich zu dem Thema BHs finden konnte. Viele unterschiedliche Modelle probierte ich aus: Softshell, Push-up, Neckholder, trägerfrei, Corsage, Sport-BH mit und ohne Bügel. Ich besuchte sogar ein ziemlich teures und einschüchterndes Dessous-Geschäft, um mich so richtig vermessen zu lassen. Vielleicht trug ich ja einfach eine falsche Größe. Es half alles nichts.  Und da ich nicht der Typ bin, der sich einfach an Dinge gewöhnt, litt ich weiter vor mich hin. Bis eines Tages, die Lösung mich fand.

Hippie und hip ohne BH

Es war nie meine bewusste Entscheidung, “sone Ökotussi” zu werden. Ich mochte einfach schon immer Tiere, Bäume, Natur und so. Daher fand ich die Idee ganz gut, einigermaßen damit im Einklang zu leben und so wenig Schaden wie möglich anzurichten. Entsprechend fanden, nach meiner Schulzeit, die richtigen Menschen und Impulse in mein Leben. Viele Dinge, die in der Kleinstadt, aus der ich komme, absurd erschienen, wurden für mich völlig normal. Meine Ernährung wurde immer pflanzenlastiger, meine Kosmetik tierversuchsfrei, Müllvermeidung wurde ein Thema…

Das alles passte ganz wunderbar zu mir und fühlte sich einfach richtig an. Einige Frauen, die ich in dieser Zeit kennen lernte, hatten ein tolles und selbstbestimmtes Verhältnis zu ihrem Körper. Sie hinterfragten gesellschaftliche Normen und machten sich davon frei. Zum ersten Mal, hatte ich Kontakt zu Frauen, die das Tragen eines BHs nicht für gottgegeben und unumgänglich hielten. Das machte mich neugierig.

. Erst wenn wir die Grenzen sprengen, die sich aus dem Korsett unserer Prägung ergeben, vermögen wir wirklich frei zu entscheiden.

Oliver Huq

einmal ohne, nie mehr mit

Richtig konkret wurde das Thema BH-frei für mich aber erst, während meines ersten Jobs. Ich arbeitete als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an einem Theater. Die Urlaubsbedingungen in dieser Branche sind sehr speziell. Im Sommer finden 6,5 Wochen Theaterferien statt, in denen die Mitarbeiter ihren gesamten Urlaub nehmen müssen. Für mich eine tolle Gelegenheit, mich mal etwas auszuprobieren. Ich fragte mich, ob der Schritt zurück ebenfalls eine längere Gewöhnungsphase brauchen würde. Und so stellte ich mich darauf ein, die Zeiten ohne BH langsam zu steigern. Aber, Pustekuchen. Ich zog am ersten freien Tag keinen BH an und kam 6,5 Wochen überhaupt nicht mehr auf die Idee, nach einem BH zu greifen.

BH-frei, Leben oben ohne

Oben ohne zum Meeting

Dann stand der erste Arbeitstag vor der Tür und ich konnte mich einfach nicht überwinden wieder einen BH zu tragen. Ich entschied mich für ein Kleid, das mehrere Lagen und ein wenig eingenähte Stützfunktion hatte. Da sollte nichts auffallen. Es fühlte sich tatsächlich überhaupt nicht komisch an und ich kam super durch meinen ersten Tag. Ein Blick auf meine Garderobe zeigte mir, dass ich viele Kleidungsstücke besaß, die sich prima eigneten und mir eine gewisse Sicherheit gaben. Irgendwann achtete ich aber nicht mehr explizit darauf und trug einfach, worauf ich Lust hatte. 

All meine Bedenken wurden schnell zerstreut. Unerwünschte Kommentare oder Blicke, an der Arbeit oder in der Öffentlichkeit, blieben völlig aus. Ich habe bis heute nicht das Gefühl, dass es den Menschen überhaupt auffällt. 

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Abteilungsmeeting, zu dem ich ein neues Oberteil trug. Es war mehrlagig und ich hatte beim Kauf schon darauf geachtet, dass es nicht durchsichtig ist. Allerdings verschob sich das gute Stück beim Tragen ständig und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich teilweise sehr exponiert war, während des Meetings. Was soll ich sagen. Wir haben es alle irgendwie überlebt. Vielleicht ist es auch außer mir niemandem aufgefallen. Die Arbeit haben wir jedenfalls wie immer erledigt. 

Als ich nachhause kam musste ich erstmal herzlich lachen. Zuerst über die absurde Situation an der Arbeit, dann aber vor allem über die vielen Gedanken und Sorgen, die ich mir, völlig unnötig, so lange gemacht hatte. Was für eine Erleichterung.

Sieht man dann nicht manchmal deine Nippel?

Da mich meine neu gewonnene Freiheit sehr glücklich macht, habe ich natürlich das Bedürfnis darüber zu reden. Die Reaktionen waren bisher immer sehr positiv und interessiert. Frauen erzählen mir oft von ihren eigenen Erfahrungen, mit und ohne BH. Ich liebe diese Art von Austausch, der mir hilft über den den eigenen Ausschnitt-Rand hinaus zu schauen. Denn wir alle sind unterschiedlich und was für mich funktioniert, ist für jemand anders möglicherweise nichts. Viele Frauen schätzen das Gefühl, welches das Tragen eines BHs ihnen gibt. Manche haben sogar starke Schmerzen ohne. Ich denke es ist einfach wichtig zu wissen, dass wir alle eine Wahl haben. Wir sind der Boss, wenn es um unseren Körper geht.

Die Frage, die mir meistens gestellt wird, wenn ich mit Männern über das Thema rede ist: “Sieht man dann nicht manchmal deine Nippel?”. Meistens antworte ich mit einer Gegenfrage: “Sieht man denn manchmal deine Nippel?” Das führt in der Regel zu einem kurzen Moment der Verwirrung und dann dazu, dass man gemeinsam lacht. Denn mal ganz im Ernst, so what? Vielleicht sehen wir manchmal die Nippel unserer Mitmenschen. Das ist dann halt einfach so. Es gibt meiner Meinung nach keinen Grund daraus eine große Sache zu machen. Wir können ja vielleicht üben, einfach mal etwas entspannter miteinander zu sein, oder?

5 Jahre ohne BH – mein Fazit

Mein persönlicher Büstenhalter-Befreiungsschlag ist jetzt schon 5 Jahre her, daher teile ich an dieser Stelle sehr gerne meine Langzeiterfahrungen mit dir:

  1. Es gibt keine, wirklich KEINE Situation, in der es wirklich nötig ist, einen BH zu tragen, wenn du es nicht willst. Vom entspannten Tag zuhause, bis zum Presseempfang, geht alles auch ohne. Klar, gibt es mehr oder weniger passende Outfits. Einige Kleidungsstücke erschaffen sogar die perfekte Illusion. Wenn du willst, dass niemand außer dir weiß, dass du keinen BH trägst, ist das also auch absolut machbar.
  1. Beim Sport mag ich ein wenig extra-Halt. Hier reichen mir in der Regel enge Sporttops aus. Manchmal trage aber auch gerne ein Sport-Bustier.
  1. Seitdem ich keinen BH mehr trage, ist meine Brustmuskulatur viel stärker geworden. Meine Brüste sind jetzt (mit knapp 40) straffer, als mit Mitte 20. Bitte versteh mich richtig. Alle Brüste sind genauso fabelhaft, wie sie sind. Ich beschreibe diesen Zustand erstmal völlig wertfrei. Persönlich, freue ich mich allerdings darüber. Weil ich finde, dass mein Körper sich so gesünder und fitter anfühlt.
  1. Meine Oberweite bekommt weder mehr, noch weniger Aufmerksamkeit als früher. Es scheint in der Außenwahrnehmung keinen großen Unterschied zu machen.

Alles in allem, hat die Entscheidung ohne BH zu leben für mich nur Positives gebracht. Ich fühle mich viel mehr bei mir und im Einklang mit meinem Körper. Es lohnt sich meiner Erfahrung nach immer, ganz genau hinzusehen, wenn es irgendwo zwickt. Das ist oft ein Zeichen dafür, dass wir etwas tun, weil es uns von außen so diktiert wurde. Je mehr wir lernen, äußere Zwänge abzulegen und unser wahres Selbst zu leben, umso mehr können wir die Welt mit unserer Freude und Liebe bereichern. Wie ich gelernt habe, besser auf mich selbst zu hören, teile ich hier mit dir.

Weil ich mich immer gerne mit einem Lächeln verabschiede…

HIER meine Top 3 Dinge, ohne die ich glücklicher bin

  1. unbequeme Kleidung
  2. unerwünschte Ratschläge  
  3. Koriander

Nutsmaste – the crazy in me honors the crazy in you <3